Die richtlinienkonforme Auslegung des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB verlangt, dass der Ausgleichsanspruch infolge einer fristlosen Kündigung durch das vertretene Unternehmen nur dann ausgeschlossen ist, wenn zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigung des Unternehmers ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang besteht. Die Kündigung muss daher tatsächlich auf den wichtigen Grund gestützt worden sein. Wichtige Kündigungsgründe konnte der Unternehmer daher im entschiedenen Fall auch nicht nachschieben.

OLG Köln, Beschluss vom 01. März 2021 – 19 U 148/20

Der Ausgleichsanspruch des Klägers ist nicht gemäß § 89b Abs. 3 Nr. 2, Abs. 5 HGB, § 80 InsO ausgeschlossen. Der Ausschlussgrund setzt voraus, dass der Unternehmer das Vertragsverhältnis gekündigt hat und für die Kündigung ein wichtiger Grund wegen schuldhaften Verhaltens des Versicherungsvertreters vorlag.

Ein wichtiger Grund im Sinne von § 89a Abs. 1 HGB liegt vor, wenn dem Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des Handelsvertretervertrags bis zum Ablauf der ordentlichen Kündigungsfrist oder bis zur vereinbarten Beendigung des Vertrags nicht zugemutet werden kann. Liegen Tatsachen vor, die generell geeignet sind, das Handelsvertreterverhältnis mit dem Gewicht eines wichtigen Grundes zu belasten, ist auf der zweiten Stufe im Rahmen einer Interessenabwägung festzustellen, ob die Fortsetzung des Handelsvertreterverhältnisses für den Kündigenden unzumutbar ist. Dabei sind alle Umstände des Einzelfalls, insbesondere auch das Verhältnismäßigkeitsprinzip, zu berücksichtigen und die Interessen des Kündigenden an einer vorzeitigen Beendigung des Handelsvertreterverhältnisses mit den Interessen des Gekündigten an dessen Fortsetzung abzuwägen.

Außerdem verlangt die richtlinienkonforme Auslegung des § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB, dass der Ausgleichsanspruch nur dann ausgeschlossen ist, wenn zwischen dem schuldhaften Verhalten des Handelsvertreters und der Kündigung des Unternehmers ein unmittelbarer Ursachenzusammenhang besteht. Die Kündigung muss tatsächlich auf den wichtigen Grund gestützt werden. Der Unternehmer kann daher wichtige Kündigungsgründe nicht nachschieben.

Betreffend die Verurteilung des Insolvenzschuldners wegen Steuerhinterziehung ist die Wertung des Landgerichts, dass sich diese nicht gegen die Beklagte richtete und deshalb keinen wichtigen Grund im vorbezeichneten Sinne darstellt, nicht zu beanstanden.

Die Beklagte war nicht unmittelbare Geschädigte der Straftat. Insofern führt sie in ihrer

Berufungsbegründung selbst an, (allenfalls) durch eine mittelbare Ausstrahlungswirkung betroffen zu sein. Dies genügt hier jedoch nicht.

Der von der Beklagten befürchtete Vertrauensschaden bei der Aufdeckung des Sachverhalts durch Dritte stellt nicht nur eine bloß mittelbare, sondern überdies eine lediglich hypothetische Folge dar, die als solche jedenfalls im Rahmen der Abwägung der widerstreitenden Interessen der Vertragsparteien hinter dem Interesse des Insolvenzschuldners an der Fortsetzung des Vertragsverhältnisses zurücktritt. Bei der Abwägung zu berücksichtigen sind nämlich auch die im Übrigen vom Landgericht genannten Gründe, wie der fehlende Zusammenhang der Straftaten mit der Ausübung der Versicherungsvertretertätigkeit des Insolvenzschuldners sowie die insgesamt rund 14 Jahre währende Zusammenarbeit der Vertragsparteien, während der sich ein Grund zur Beanstandung des beruflichen oder außerberuflichen Verhaltens des Insolvenzschuldners nicht ergeben hat.

Anders, als von der Beklagten vertreten, hat das Landgericht ebenfalls beanstandungsfrei den rund drei Jahre zurückliegenden Tatzeitpunkt in seiner Abwägung zugunsten des Insolvenzschuldners gewichtet. Denn dieser markiert das beanstandungswürdige Verhalten des Insolvenzschuldners, der Zeitpunkt seiner Verurteilung liegt außerhalb seines Einflussbereichs. In der seither verstrichenen Zeit sind weitere Straftaten des Insolvenzschuldners nicht bekannt geworden, was die Straffälligkeit nicht als sich wiederholenden Vertrauensbruch erscheinen lässt und ohne Weiteres zu seinen Gunsten zu berücksichtigen ist. Der Insolvenzschuldner mag seine Verurteilung der Beklagten nicht angezeigt haben, eine solche Verpflichtung oblag ihm jedoch auch nicht, zumal die Beklagte ihre Handelsvertreter offenbar turnusmäßig zur Vorlage von Führungszeugnissen auffordert.

Eine abweichende Beurteilung ergibt sich auch nicht unter Berücksichtigung der von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung in Bezug genommenen Regelung des § 6 der WpHG-Mitarbeiteranzeigeverordnung. Danach hat die erforderliche Zuverlässigkeit nach § 34d Abs. 1 Satz 1 WpHG in der Regel nicht, wer in den letzten fünf Jahren vor Beginn einer anzeigepflichtigen Tätigkeit u.a. wegen einer Steuerhinterziehung rechtskräftig verurteilt worden ist. Es fehlt an einer Einschlägigkeit für den hiesigen Sachverhalt. Denn diese Regelung betrifft die Anlagenvermittlung und -beratung und damit einen Bereich, der im Hinblick auf das Gefährdungspotential für das Vermögen der Kunden besonderer Seriosität und Zuverlässigkeit bedarf. Damit ist das Tätigkeitsfeld des Insolvenzschuldners nicht vergleichbar. Dieser war nämlich damit betraut, Versicherungsverträge zu vermitteln, und zwar, in den Bereichen SHUR (Sach-, Haftpflicht-, Unfall-, Rechtschutz), Kfz und Leben.

In ebenfalls nicht zu beanstandender Weise hat das Landgericht die vermeintlich verzögerte Vorlage des Führungszeugnisses durch den Insolvenzschuldner nicht, und auch nicht in der Gesamtschau, als wichtigen Grund im fraglichen Sinne angesehen. Der Insolvenzschuldner mag der Aufforderung der Beklagten zur Vorlage erst nach einer Erinnerung und damit erst rund zwei Monate nach der ersten Aufforderung nachgekommen sein. Bei der Beurteilung zu berücksichtigen ist aber, dass im geschäftlichen Verkehr ein- oder zweimalige Mahnungen keine Seltenheit sind. Hinzu kommt, dass der Insolvenzschuldner, wenn dies überhaupt angenommen werden sollte, keine Straftat zu verheimlichen versucht hat, die ihrerseits einen wichtigen Grund im Sinne von § 89b Abs. 3 Nr. 2 HGB darzustellen vermag.

Das Landgericht hat in weiterhin nicht zu beanstandender Weise einen Billigkeitsabzug von 1/4 vorgenommen.

Die Zahlung eines Ausgleichsanspruchs muss gemäß § 89b Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 HGB unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls der Billigkeit entsprechen. Ein Ausgleichsanspruch entsteht demnach nicht, wenn er unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls unbillig wäre. Nach der Wertung der im Einzelfall anwendbaren Billigkeitskriterien sind diese in einer Gesamtschau gegeneinander abzuwägen. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Vor- und Nachteile auf jeder Seite ist zu prüfen, ob die Interessen einer Partei so sehr überwiegen, dass sie eine Erhöhung oder Minderung des rein rechnerisch ermittelten Ausgleichsanspruchs aus sachlichen Gründen erfordern.

Das Landgericht hat alle relevanten Billigkeitskriterien gewertet und in einer Gesamtschau in beanstandungsfreier Weise gegeneinander abgewogen. Dabei hat es auch den von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung herangezogenen Umstand, dass der Insolvenzschuldner schon längere Zeit in gänzlich ungeordneten wirtschaftlichen Verhältnissen lebte, in seine Würdigung miteinbezogen.

Den vom Landgericht auf der Grundlage seiner Würdigung vorgenommenen Abzug von 1/4 erachtet auch der Senat aus den Gründen des angefochtenen Urteils jedenfalls nicht als zu gering. Ein Erlöschen des Ausgleichsanspruchs ist keinesfalls anzunehmen. Eine dahingehende Beurteilung ergibt sich auch nicht aus der von der Beklagten in ihrer Berufungsbegründung zitierten Kommentierung. Denn selbst daraus geht hervor, dass ein Grund, der eine fristlose Kündigung zu rechtfertigen vermag, auch „lediglich“ zu einer Minderung des Ausgleichsanspruchs führen kann. Insbesondere zeigt das in der Kommentierung angeführte Beispiel die Unverhältnismäßigkeit eines Erlöschens des Anspruchs im hiesigen Fall auf. Denn angeführt ist als Regelfall ein Sachverhalt, bei dem der Handelsvertreter länger andauernd und dem Unternehmer verheimlichend unzulässigerweise eine Vertriebstätigkeit für einen Wettbewerber ausübt. Eine Vergleichbarkeit mit den hiesigen zur Beurteilung stehenden Kriterien ist nicht ansatzweise gegeben – weder in zeitlicher Hinsicht noch im Hinblick auf die Schwere des Vertrauensverstoßes, wobei hier insbesondere zur Geltung kommt, dass die Beklagte, wie bereits ausgeführt, nicht unmittelbar Geschädigte der von dem Insolvenzschuldner begangenen und mehrere Jahre zurückliegenden Straftat war. Vielmehr dauerte das Vertragsverhältnis, wie vom Landgericht zutreffend berücksichtigt, rund 14 Jahre an, ohne dass es zu Unregelmäßigkeiten bei der Ausübung der Tätigkeit gekommen wäre.

 

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