Das Recht des Handelsvertreters, Zutritt zu den Geschäftsräumlichkeiten des Unternehmers zu erhalten, ist in einem Titel auf Bucheinsicht nicht auch gleich enthalten. Vielmehr ist der Unternehmer befugt, die Unterlagen auch an einem anderen gut zugänglichen Ort bereitzuhalten. Der Anspruch auf Bucheinsicht gemäß § 87c Abs. 4 HGB erfordert, dass der Handelsvertreter eine Sachlage darlegt und ggf. beweist, nach der für einen unbefangenen Dritten die Richtigkeit oder Vollständigkeit des Buchauszuges zweifelhaft ist. Dabei braucht der Gegenstand der Bucheinsicht nur abstrakt und nicht in allen möglichen Einzelheiten umschrieben zu werden. Das vertretene Unternehmen hat ein Wahlrecht, ob es dem Handelsvertreter oder einem von diesem zu beauftragenden Wirtschaftsprüfer oder vereidigten Buchprüfer die Bucheinsicht gewährt. Der Handelsvertreter kann das vertretene Unternehmen jedoch nicht auf Ausübung des Wahlrechts in Anspruch nehmen, da keine Pflicht zur Ausübung des Wahlrechts besteht.

 

OLG Hamm, Urteil vom 10. November 2022 – 18 U 138/18 

 

Bei der Durchsetzung von Maßnahmen der Bucheinsicht sind Handlungen des Unternehmers erforderlich, die für die Durchführung Bucheinsicht wesentlich sind. Der Unternehmer hat dem Handelsvertreter bzw. dessen Beauftragten die Unterlagen zugänglich zu machen. Damit das Einsichtsrecht effektiv genutzt werden kann, hat der Unternehmer die erforderlichen Unterlagen an einem für den Handelsvertreter oder seinen Beauftragten gut zugänglichen Ort bereitzustellen und gegeben falls Einsicht in sein EDV-System zu gewähren. Im Zentrum der Betrachtung stehen damit Handlungen des Unternehmers. Soweit die Bucheinsicht auch Duldungskomponenten aufweist (Duldung der Prüfung von Geschäftsunterlagen in den betreffenden Räumlichkeiten), handelt es sich um eine untergeordnete Komponente des Einsichtsvorgangs, die wertungsmäßig in Bezug auf die vorherigen aktiven Handlungen des Unternehmers zur Ermöglichung der Bucheinsicht (Bereitstellung der Unterlagen an einem bestimmten Ort) keine eigenständige Bedeutung erlangt.

Im Rahmen der zwangsweisen Durchsetzung eines Bucheinsichtstitels sind daher vertretbare und ggf. auch unvertretbare Handlungen nach §§ 887, 888 ZPO zu vollstrecken. Wenn bspw. der Zugang zu den Prüfräumlichkeiten insgesamt versperrt wird und ggf. Schlösser auf zu brechen sind, geht es um vertretbare Handlungen, also Handlungen, die auch ein Dritter vornehmen könnte. Geht es um den genauen Aufbewahrungsort von seitens des Unternehmers zur Verfügung zu stellenden Unterlagen oder die Gewährung von Zugriff auf dessen EDV-System, kann nur der Unternehmer selbst die geforderten Handlungen vornehmen, da nur die für ihn tätigen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die genauen Lagerorte der Unterlagen kennen und den Zugriff auf die EDV einrichten können, so dass insoweit unvertretbare Handlungen im Sinne des § 888 ZPO gegeben sind. Soweit es auf die vorübergehende Überlassung der Geschäftsunterlagen im Geschäftslokal des Unternehmers ankommt, kann diese ggf. nach § 883 ZPO durchgesetzt werden.

Die Richter des 18. Senats des OLG Hamm folgten daher der  Auffassung nicht – soweit es um den Zutritt des Wirtschaftsprüfers oder vereidigten Buchprüfers zu den Geschäftsräumen gehe – das eine zu duldende Handlung des Unternehmers vorliege, die nach § 890 ZPO vollstreckt werden könne. Der auf Gewährung von Bucheinsicht gerichtete Titel beinhalte gerade nicht das Recht des Handelsvertreters, zu den Geschäftslokalen des Unternehmers Zutritt zu erhalten, sondern der Unternehmer sei befugt, die Unterlagen an einem anderen gut zugänglichen Ort bereitzuhalten. Wenn aber schon die in Rede stehende Duldungshandlung – Duldung des Zutritts zu den Geschäftsräumen – nicht Bestandteil des Einsichtsgewährungsanspruchs und  -gewährungstitels sei, komme eine Zwangsvollstreckung nach § 890 ZPO auch vor diesem Hintergrund nicht in Betracht.

Der klagende Handelsvertreter machte im vorliegenden Sachverhalt nach seinem Verlangen auf Erteilung eines Buchauszugs ein Bucheinsichtsrecht geltend. Das sei gerade die Konstellation, die der Gesetzgeber mit der Schaffung des Bucheinsichtsrechts vor Augen gehabt habe. Das Recht auf Bucheinsicht gehe von seiner Konzeption her nämlich weiter als der Anspruch auf Erteilung eines Buchauszugs. Es baue auf dem Anspruch auf Erteilung des Buchauszugs auf. Die Bucheinsicht als im Vergleich zum Buchauszug weitergehendes Recht solle der Kontrolle der Abrechnung oder des Buchauszuges dienen und den Handels- und Versicherungsvertreter in die Lage versetzen, Gewissheit über die provisionspflichtigen Geschäfte zu erlangen. In dieser Funktion sei die Bucheinsicht ein besonders gestalteter Hilfsanspruch. Sie soll dem Gläubiger schnell und unmittelbar Kenntnis von den der Auskunftspflicht unterliegenden Tatsachen verschaffen.

Der Anspruch auf Bucheinsicht erfordere objektive, begründete Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit des Buchauszugs. Die bloße subjektive Meinung des Handelsvertreters oder allgemeine Behauptungen oder Vermutungen ohne Anhalt, der Buchauszug sei unrichtig oder unvollständig, genügten hierfür nicht. Der Handelsvertreter müsse vielmehr eine Sachlage darlegen und ggf. beweisen, nach der für einen unbefangenen Dritten die Richtigkeit oder Vollständigkeit des Buchauszuges zweifelhaft sei.

Es genüge dabei aber durchaus das Bestehen von begründeten Zweifeln, die sich auf einen nicht ganz unerheblichen Punkt beziehen und Auswirkungen auf einen Zahlungsanspruch des Handelsvertreters haben können.

Diese Zweifel müssten sich auch nicht allein auf den aktuell erteilten Buchauszug beziehen. Im Gesetz finde sich keine Stütze für eine derart einschränkende Betrachtung, nach der ein früheres Verhalten des Unternehmers und/oder zuvor erteilte Buchauszüge bei der Beurteilung nicht heranzuziehen seien. Nach dem Wortlaut des § 87c Abs. 4 HGB komme es auf das Bestehen von begründeten Zweifeln an der Richtigkeit oder Vollständigkeit des Buchauszugs an. Einschränkungen dahingehend, die Zweifel dürften allein aus dem zuletzt erteilten Buchauszug hergeleitet werden und nicht dem vorherigen Verhalten des Unternehmers, fänden im Gesetzwortlaut – so die Richter des OLG Hamm, keinen Anhalt. Dementsprechend werde auch von zahlreichen Gerichten die zutreffende Ansicht vertreten, das gesamte Verhalten des Unternehmers und mithin auch frühere Buchauszüge nebst den Umständen ihrer Erteilung seien für die Beurteilung der Frage, ob Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit des letztlich erteilten Buchauszugs bestehen, von Relevanz. Dieser Auffassung folge auch das OLG Hamm. Eine andere Sichtweise würde dem Gesetzeszweck zuwider laufen, dem Handels- oder Versicherungsvertreter bei jeden begründeten Zweifeln die Kontrolle zu ermöglichen, ob alle ihm zustehenden Provisionen und sonstigen Vergütungen lückenlos erfasst sind.

Bei einer Verurteilung des Unternehmers zur Duldung der Bucheinsicht, handele es sich um eine Verurteilung zur Vornahme des dem Unternehmer zustehenden Wahlrechts. Eine Klage auf Vornahme des Wahlrechts zwischen persönlicher Einsicht des Versicherungsvertreters oder einer solchen durch Wirtschaftsprüfer oder Buchsachverständigen sei insoweit nicht statthaft, da keine Pflicht zur Ausübung des Wahlrechts bestehe. Es müsse außergerichtlich nach § 264 BGB vorgegangen werden. Daher könne auch der beklagte Unternehmer nicht dazu verurteilt werden, die Person des Einsichtsnehmenden auszuwählen.

 

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